Alterskrankheit

1.8.14 – Ich habe wenig Lust, mit Leuten meines Alters zu reden. Leute in meinem Alter haben Feindbilder, sie meckern. Die Meckerei ist eine Alterskrankheit, die auf Sichtweisen und nicht auf Fakten beruht. Ich bin nicht von ihr befallen, weil – so vermute ich – ich nicht in gleicher Weise wie sie gealtert bin. Als ich 18 war, wusste ich, dass mein Leben gut ist, dass es nie besser werden wird. Ich hatte ein Auto, eine Freundin, das erste Mal Sex und spielte in einer Beatband. Was sollte da noch kommen? Ich wollte, die Zeit bliebe stehen, alles sollte so bleiben wie es ist, ich wollte nicht älter werden. Körperlich ist es mir nicht gelungen, aber geistig. Kürzlich traf ich zwei Musiker, sie waren Mitte 20. Ich sagte ihnen, meine Lieblingsband sei Linkin Park. Worauf sie mich erstaunt anguckten und sagten, für die Musik fühlten sie sich zu alt.

Außerdem gibt es den Alterspessimismus. Davon sind gebildete Leute befallen. Man sieht den runzeligen Brillenträger vor seiner Bücherwand sagen, es gebe keine Kultur, keine Erotik und keine Moral mehr. Sie seien besorgt um die Zukunft der Menschheit und froh, dass sie die nicht mehr erleben müssen: »Ich gestehe, dass ich wenig neugierig bin auf eine Zukunft, an die ich, so wie die Dinge stehen, immer weniger glaube.« (Mario Vargas Llosa, Alles Boulevard)

Wir denken, sie sind alt und weise und müssten es wissen. Aber sie sind nicht besorgt um die Menschheit, sondern um sich selbst. Sie wissen, sie werden bald sterben und können nicht miterleben, was noch kommt. Sie möchten, dass mit ihnen die ganze Welt untergeht, damit sie keine Chance hat, besser zu werden, was sie ja dann verpassen würden. Aber sowohl mit ihnen als auch mit der Welt passiert nur das, was schon immer passiert ist. Irgendwas verschwindet, etwas Anderes beginnt: Ewige Verwandlung.